See. Soldini. Salvatore. Was hat die ehrwürdige «Villa Castagnola» in Lugano, was andere nicht haben? Eine Familie, die jedes Jahr tapfer investiert. Langjährige, freundliche Mitarbeiter, die in den alten Mauern den Grandhotel-Groove verbreiten. Einen riesigen Park mit Palmen, Skulpturen des wunderbaren Tessiner Künstlers Ivo Soldini, freie Sicht auf See und San Salvatore, einen privaten «Lido Club» am Ceresio. Und das «Arté», ein 16-Punkterestaurant am Wasser, das zugleich faszinierende Kunstgalerie ist. Der Künstler am Herd: Frank Oerthle, 40 Jahre im Beruf, Mitglied bei den Grandes Tables Suisse, seit 2001 «Arté»-Chef. Und kein bisschen müde. Grosses Bild oben: Frank Oerthle.
Doppeljob für Boss Oerthle. Die Zeiten sind härter geworden. Chef Oerthle kann nicht mehr wie früher auf eine grosse Brigade zählen. Ein vierköpfiges Team muss es schaukeln: «Ich arbeite mit drei jungen Köchen zusammen, die meine Söhne sein könnten. Sie kennen meinen Anspruch: Sie dürfen etwas langsamer arbeiten als wir alten Hasen. Aber sie müssen ihre Arbeit sehr genau machen.» Oerthle erledigt den Rest: «Ich überwache den Pass, bin gleichzeitig der Saucier. Das macht mir Spass.» Den Gästen auch: Die Saucen im «Arté» sind ausgezeichnet. Das Ristorante direkt am Wasser ist meist nur abends geöffnet. Trotzdem stehen die Köche punkt neun Uhr morgens am Herd, zehn Stunden, bevor die ersten Gäste erwartet werden. «Nur am Sonntag kommen wir später, weil dann die mise-en-place schon gemacht ist», sagt der Chef.
Kartoffeln & Foie gras. Wir studieren interessiert die Karte und denken ganz spontan: Geht das nicht alles auch ein wenig einfacher? Viele Komponenten pro Gang, ungewohnte Kombinationen. Spätestens nach dem Amuse-bouches sind die Bedenken weg. Chef Frank Oerthle hat am Vortag bei einem Bauern in Davesco ganz kleine Neue Kartoffeln entdeckt, lässt Foie gras dazu schmelzen. Wir löffeln alles weg, sind hin und weg. Nach 40 Jahren im Job weiss einer ganz genau, worum es geht im Fine Dining: Um den Geschmack. What else?
«Finferli» & «Büscion». An heissen Sommerabenden sind Oerthles Saucen so leicht wie möglich. Auch die Suppen. Die Pfifferling-Suppe etwa («Finferli» heisst das im Ticino) kriegt eine Prise Zitronengras, was ihr gut bekommt; sie wird zu einem elegant geformten, kleinen Kalbstatar eingegossen. Hervorragend auch die «Tortellini al büscion». Im dünnen, präzis geformten grünen Teig steckt Tessiner Ziegenkäse. Der ist heftig, aber gut! Nur Ravioli wäre dem Chef im Degustationsmenü zu wenig. Er beschafft bei Luma eine Ribelmais-Poularde, formt daraus mit der Präzision eines Uhrmachers winzig kleine, wunderbare Rouladen. Der «Brodo» dazu verblüfft: Eine Prise Kaffee («pura arabica») ist drin.
Krebs-Köpfe für die Sauce. Die Spaghetti Monograno Felicetti kommen ziemlich heftig daher. Nduja, die deftige Wurst Kalabriens, wird in die Sauce gemixt, ebenso Orangensaft. Da haben es die eleganten Gamberi Rossi etwas schwer im Teller. Was passiert mit den Krebs-Köpfchen? Sie kommen, da voller Power, selbstverständlich auch in die Sauce. Der Chef geht auch im Hauptgang seinen eigenen Weg: Picanha di Black Angus, also der Rindshuftdeckel, mit Kaffirschaum; erstklassige Köche haben auch die «second cuts» im Griff. Bemerkenswert ist im «Arté» auch die Weinkarte. Die Tessiner Winzer-Prominenz ist gelistet, zu freundlichen Preisen; selbst der «Belvedere», der neue Merlot des nimmermüden Altmeisters Luigi Zanini, fehlt nicht im Angebot. Wer önologisch über die Grenze will, kommt auch auf seine Rechnung: Acht verschiedene Ornellaia-Jahrgänge sind gelistet.
Willkommen im «Lido Club»! Hotels, die direkten Zugang zum Wasser haben, sind am Luganersee an einer Hand abzuzählen. «Villa Castagnola»-Hotelgäste können direkt eintauchen. General Manager Ivo Zorloni hat jahrelang und hartnäckig gekämpft, um zu den nötigen Bewilligungen zu kommen. Aber jetzt ist der private «Lido Club» eröffnet und ein Schmuckstück im Resort: Liegen und Lounges am Wasser, und eine kleine Karte mit kühlen Drinks und Snacks liegt auch auf. Alessandro Boleso liefert Tabulé, Poke Bowls, Tatars, Sandwiches und Desserts in den Klub. Der Executive Chef führt zwei erstklassige Restaurants im Park: Das «Le Relais» (15 Punkte, zauberhafte Terrasse) und das unkomplizierte «La Rucola». Für den Drink vor und nach dem Dinner gibt’s in der «Villa» zwei Optionen: Drinnen die elegante «Cocktail Bar» (mit Pianist), draussen die «Banano Bar». Hier trinkt man seinen Bellini zwischen Bananenpalmen.
Fotos: Liliana Lafranchi, Ydo Sol, HO